Mittwoch, 23. Februar 2011
A Page of Madness
hypnosemaschinen, 02:24h
Kurutta Ippeji, Japan 1926, Regie: Teinosuke Kinogasa
Huch, da bin ich mal wieder überrollt worden. Eigentlich wollte ich nur mal einen frühen japanischen Film mit Bezug zum Phantastischen sehen, und dann kommt dieses irre Avantgarde-Werk daher und läßt mich staunend zurück. Beeinflußt von Eisenstein und dem letzten Mann, packt Kinogasa jeden Trick und Effekt aus, den man bis dahin kannte und reiht diese in einer gnadenlosen Tour de Force aneinander. Schon bei der Eingangsmontage dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, das muß irgendein Underground-Film aus den Sechzigern sein, aber von wegen. Weiter geht's mit schwindelerregenden Schwenks, verzerrten Linsen, die die Perspektive Wahnsinniger nachahmen sollen und immer wieder rasante Schnitte und ausufernde Kamerafahrten. Nach diesem einstündigen Ritt gut gerädert und beeindruckt, mußte ich jedoch feststellen, von der Geschichte, die der Film offensichtlich auch noch erzählte, überhaupt nichts verstanden zu haben, was nicht an Schrifttafeln in einer unbekannten Sprache gelegen haben kann, denn solche gab es nicht. Die Hauptfigur ist wohl ein Hausmeister, der sich um die Insassen einer Heilanstalt kümmert – eine Dame ganz besonders – schließlich auch den Chefarzt niederschlägt und eine Revolte anzettelt, aber was genau macht der da? Ist er gut oder böse? Oder war das alles seine Einbildung? Flashbacks? Ein Traum gar?
Das wollte ich dann doch genauer wissen und habe ein bißchen durch die Gegend recherchiert. Daß ich den Plot nicht verstanden habe, ist kein Wunder, wurden doch japanische Stummfilme bei ihrer Aufführung nicht nur von Musik, sondern auch von einem sogenannten "Benshi" begleitet, der nicht nur als Erzähler fungierte, sondern auch den einzelnen Figuren Stimmen verlieh. Die Popularität der Benshis sorgte dann auch dafür, daß die endgültige Ablösung durch den Tonfilm in Japan erst viel später stattfand als in anderen Ländern. Dieses "Geschichte erzählen außerhalb des Filmbildes" könnte durchaus ein Ansatzpunkt sein, die visuelle Ausgeprägtheit des japanischen Kinos zu erklären. Nun, der Hausmeister ist jedenfalls ein Guter und nahm den Job nur an, um in der Nähe seiner Frau sein zu können, die wahnsinnig geworden war, nachdem sie ihr Kind ertränkt hatte. Es gibt Flashbacks und Traumsequenzen, die bei der hohen Schnittfrequenz und ohne Benshi aber nur schwierig von der Rahmenerzählung abzugrenzen sind. Obwohl der Caligari laut Donald Richie in Japan sehr populär war, das Sujet einer Irrenanstalt dies suggerierte und der Film gerne als Vergleich hinzugezogen wird, findet sich genau betrachtet davon fast nichts wieder, Kinogasas Vorgehensweise war eine gänzlich andere.
Die Rezeptionsgeschichte des Films verpaßte mir dann allerdings noch einen kleinen Dämpfer: Der Legende nach fand der Regisseur 1971 das verloren geglaubte Werk in seiner Gartenhütte. Leider schnitt er vor der Wiederaufführung 500 Meter hinaus, was den ganzen Film durchaus auf modern frisiert haben mag. Aber zahlreiche Wunder dieses Werks – das auch im japanischen Film dieser Periode eine absolute Ausnahmestellung einnimmt – sind definitiv schon damals entstanden.
Den filmhistorischen Wert dieses Wahnsinns kann man nicht hoch genug einschätzen. Die ausführlichste Analyse des Werks liegt übrigens nur in deutscher Sprache vor, was einige Amis zutiefst bedauern. 2007 ist zudem eine um einige Minuten erweiterte restaurierte Fassung aufgeführt worden, die aber bislang leider noch niemand auf DVD oder anderswie verfügbar gemacht hat.
Huch, da bin ich mal wieder überrollt worden. Eigentlich wollte ich nur mal einen frühen japanischen Film mit Bezug zum Phantastischen sehen, und dann kommt dieses irre Avantgarde-Werk daher und läßt mich staunend zurück. Beeinflußt von Eisenstein und dem letzten Mann, packt Kinogasa jeden Trick und Effekt aus, den man bis dahin kannte und reiht diese in einer gnadenlosen Tour de Force aneinander. Schon bei der Eingangsmontage dachte ich, das kann doch nicht wahr sein, das muß irgendein Underground-Film aus den Sechzigern sein, aber von wegen. Weiter geht's mit schwindelerregenden Schwenks, verzerrten Linsen, die die Perspektive Wahnsinniger nachahmen sollen und immer wieder rasante Schnitte und ausufernde Kamerafahrten. Nach diesem einstündigen Ritt gut gerädert und beeindruckt, mußte ich jedoch feststellen, von der Geschichte, die der Film offensichtlich auch noch erzählte, überhaupt nichts verstanden zu haben, was nicht an Schrifttafeln in einer unbekannten Sprache gelegen haben kann, denn solche gab es nicht. Die Hauptfigur ist wohl ein Hausmeister, der sich um die Insassen einer Heilanstalt kümmert – eine Dame ganz besonders – schließlich auch den Chefarzt niederschlägt und eine Revolte anzettelt, aber was genau macht der da? Ist er gut oder böse? Oder war das alles seine Einbildung? Flashbacks? Ein Traum gar?
Das wollte ich dann doch genauer wissen und habe ein bißchen durch die Gegend recherchiert. Daß ich den Plot nicht verstanden habe, ist kein Wunder, wurden doch japanische Stummfilme bei ihrer Aufführung nicht nur von Musik, sondern auch von einem sogenannten "Benshi" begleitet, der nicht nur als Erzähler fungierte, sondern auch den einzelnen Figuren Stimmen verlieh. Die Popularität der Benshis sorgte dann auch dafür, daß die endgültige Ablösung durch den Tonfilm in Japan erst viel später stattfand als in anderen Ländern. Dieses "Geschichte erzählen außerhalb des Filmbildes" könnte durchaus ein Ansatzpunkt sein, die visuelle Ausgeprägtheit des japanischen Kinos zu erklären. Nun, der Hausmeister ist jedenfalls ein Guter und nahm den Job nur an, um in der Nähe seiner Frau sein zu können, die wahnsinnig geworden war, nachdem sie ihr Kind ertränkt hatte. Es gibt Flashbacks und Traumsequenzen, die bei der hohen Schnittfrequenz und ohne Benshi aber nur schwierig von der Rahmenerzählung abzugrenzen sind. Obwohl der Caligari laut Donald Richie in Japan sehr populär war, das Sujet einer Irrenanstalt dies suggerierte und der Film gerne als Vergleich hinzugezogen wird, findet sich genau betrachtet davon fast nichts wieder, Kinogasas Vorgehensweise war eine gänzlich andere.
Die Rezeptionsgeschichte des Films verpaßte mir dann allerdings noch einen kleinen Dämpfer: Der Legende nach fand der Regisseur 1971 das verloren geglaubte Werk in seiner Gartenhütte. Leider schnitt er vor der Wiederaufführung 500 Meter hinaus, was den ganzen Film durchaus auf modern frisiert haben mag. Aber zahlreiche Wunder dieses Werks – das auch im japanischen Film dieser Periode eine absolute Ausnahmestellung einnimmt – sind definitiv schon damals entstanden.
Den filmhistorischen Wert dieses Wahnsinns kann man nicht hoch genug einschätzen. Die ausführlichste Analyse des Werks liegt übrigens nur in deutscher Sprache vor, was einige Amis zutiefst bedauern. 2007 ist zudem eine um einige Minuten erweiterte restaurierte Fassung aufgeführt worden, die aber bislang leider noch niemand auf DVD oder anderswie verfügbar gemacht hat.
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prieditis,
Mittwoch, 23. Februar 2011, 05:23
grandios
mehr fällt mir dazu im Moment nicht ein. Ich bin noch zu sehr beeindruckt und geplättet...
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whoknows best,
Mittwoch, 23. Februar 2011, 12:10
Huch!
@Alex: "Huch!" sagen James Whale und ich. Wenn du es schreibst, könnte man ja direkt auf Gedanken kommen, Schatz... ;)
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hypnosemaschinen,
Mittwoch, 23. Februar 2011, 19:07
@prieditis: Ja, ich war bei der Sichtung auch erst mal platt und sprachlos.
@whoknows: Hier in der Nähe gibt es einen Ort namens Huchem-Stammeln. Dort könnten wir uns ja mal für gemeinsame Sprechakte treffen. ;-)
@whoknows: Hier in der Nähe gibt es einen Ort namens Huchem-Stammeln. Dort könnten wir uns ja mal für gemeinsame Sprechakte treffen. ;-)
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ne-mo,
Mittwoch, 23. Februar 2011, 19:41
Japanische Filmposter der 20er und 30er Jahre
Hab vor ein paar Tagen ein paar japanische Poster u.a. zu russischen und deutschen Filmen gefunden: http://pinktentacle.com/2011/02/japanese-graphic-design-from-the-1920s-30s/. Hat manchmal eine konstruktivistische Note.
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hypnosemaschinen,
Freitag, 26. August 2011, 05:00
Die Clips
wurden wohl mittlerweile von youtube entfernt, als Reminder lasse ich sie aber hier erstmal drin. Bleibt zu hoffen, daß diese Intervention eines Rechte-Inhabers bedeutet, daß es von diesem außergewöhnlichen Film bald auch eine offizielle Veröffentlichung gibt...
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hypnosemaschinen,
Samstag, 15. November 2014, 04:30
Die schwarzen Fenster
...sind jetzt zugunsten einer komplett-Version auf youtube entfernt worden, mal sehen, wie lange die hält. Der Film wurde zwischenzeitlich in einer 3D-Version (!?) auf DVD veröffentlicht, die Scheibe ist mittlerweile aber auch schon out of print und schien auch nicht von einem unbedingt vertrauenswürdigen Hersteller zu kommen.
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