Samstag, 19. März 2011
Traumstadt
Deutschland 1973, Regie: Johannes Schaaf



Der Künstler Florian Sand erhält von einem ehemaligen Klassenkameraden, dem mittlerweile zum Millionär gewordenen Klaus Patera, die Einladung, in seine neu gegründete “Traumstadt” umzusiedeln, in der ganz eigene Gesetze herrschen und auf die Freiheit des Individuums höchsten Wert gelegt wird. Da Sand sich momentan in einer Schaffenskrise befindet und der Einladung ein Scheck über 100.000 Mark beigefügt war, entscheidet er sich, mit seiner Frau die Reise anzutreten. Die Traumstadt befindet sich mitten in einer orientalischen Wüste und besteht aus europäischen Gebäuden des 19. Jahrhunderts, die dorthin transportiert wurden. Auch die Kleidung der Bewohner läßt eher auf vergangene Zeiten schließen. Zunächst von der Skurrilität des Lebens und der Menschen dort fasziniert und inspiriert, stellt Sand jedoch auch bald fest, daß hier einige unheimliche Dinge vor sich gehen...



Der Roman „Die andere Seite“ von Alfred Kubin ist einer von diesen Stoffen, die eigentlich als „kaum verfilmbar“ galten - daß man auf solche Einschätzungen aber nicht unbedingt immer was geben muß und es trotzdem versuchen sollte, beweist Johannes Schaaf hier eindrucksvoll. In zahlreichen prächtigen Sequenzen und Bildern gelingt es dem Regisseur, die stets zwischen Realität und Traum kippende Stimmung festzuhalten und dabei auch noch einige durchaus reizvolle eigene Ideen einzubauen. Sehr gelegen kommt dabei die Location, die bereits leicht verfallene Geisterstadt Preßnitz im Erzgebirge/Sudetenland, die für das Finale tatsächlich in die Luft gesprengt wurde und kurze Zeit später von einem Stausee geflutet wurde.



Traumstadt ist aber auch ein Kind seiner Zeit, in der Inszenierung deutlich vom Panik-Theater beeinflusst, meinte ich, hier und dort auch etwas Monty Python auszumachen. Auch inhaltlich werden Aktualisierungen vorgenommen, so wird aus dem Kapitalisten Herkules Bell, dem Gegenspieler Pateras, der eine Revolution anzetteln möchte, ein Afro-Amerikanischer Bürgerrechtler. (Gespielt von Ronnie Williams!) Das apokalyptische Finale des Romans wird allerdings etwas zurückhaltender umgesetzt, ist aber auch in dieser Form durchaus eindrucksvoll geraten. Spoiler: Am Ende des Romans wächst ein riesiger Penis aus der Erde und stapft mit seinen riesigen Hoden durch die Straßen – den gibt es hier nicht zu sehen. Warum genau, darüber könnte man endlos spekulieren.



Eine unvergessliche Bilderflut, die zugleich noch eine düstere Meditation über die Natur des Menschen ist. Der Film sollte besser heute als morgen als DVD wiederveröffentlicht werden, am besten von einem sympathischen Label wie Bildstörung.

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