Sonntag, 10. Januar 2010
Das Sanatorium zur Todesanzeige
Sanatorium pod klepsydra, Polen 1973, Regie: Wojciech J. Has



Jozef besucht seinen Vater im Sanatorium – dieser ist jedoch längst gestorben. Da das Sanatorium aber auf einer anderen Zeitebene liegt, in der, wie ihm ein Arzt erklärt, der Tod seines Vaters "noch nicht Wirklichkeit geworden" ist, kann er trotzdem mit ihm sprechen. In dieser merkwürdigen Anstalt und ihrer Umgebung erlebt Jozef auch Kindheitserlebnisse erneut – und sogar Fantasien und Wunschvorstellungen, die er als Knabe hatte. Doch alles scheint mit Staub und Spinnweben bedeckt zu sein...



Glücklicherweise war ich irgendwann Anfang der 90er Jahre geistesgegenwärtig genug, den Videorekorder anzuschalten, als der Film auf 3Sat ausgestrahlt wurde – ich hatte noch nie etwas davon gehört, die Ankündigung las sich aber recht interessant. Die erste Sichtung hinterließ mich dann relativ verwirrt, aber auch äußerst fasziniert. Wie in der literarischen Vorlage von Bruno Schulz gibt es hier keine lineare Erzählweise, Zeit und Raum werden durcheinandergewirbelt – wie, wann und wo die Geschichte weitergeht, das wird von spontanen Assoziationen der Hauptfigur entschieden. Erst nach Lektüre der Vorlage und der dritten Sichtung konnte ich das Puzzle halbwegs zusammensetzen, dabei immer wieder neue Details entdeckend. Zusätzlich zur außergewöhnlichen Erzählstruktur tragen auch die Kameraarbeit, die opulente Ausstattung, die Musik und zahlreiche bizarre Ideen dazu bei, eine irreale Atmosphäre zu erzeugen, die in einer solchen Dichte von nur wenigen Filmen erreicht wurde. Definitiv ein Meisterstück des phantastischen Kinos, das wohl aufgrund seiner Sperrigkeit leider schnell in Vergessenheit geriet, in die Obskurität rutschte und kaum auffindbar war. Dank meiner VHS konnte ich immerhin hier dem Film ein ganzes Kapitel widmen, erst 2007 erschien in Frankreich eine DVD und letztes Jahr auch eine in England, die all denen willkommen sein sollte, die weder polnisch noch französisch können.

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Samstag, 9. Januar 2010
Leptirica
Jugoslawien 1973 Regie: Djordje Kadijevic



Es wird im Dorf allgemein davon abgeraten, in der alten Mühle zu übernachten, denn bereits drei Müller haben das nicht überlebt. Vule glaubt an diese Geschichten nicht und wird folgerichtig am nächsten Morgen mit durchgebissener Kehle aufgefunden. Jetzt will da freilich niemand mehr pennen, aber irgendwer muß das Mehl mahlen, sonst wird das ganze Getreide schlecht. Der junge Strahinja traut sich und wie durch ein Wunder übersteht er auch die Nacht. Nicht ganz so viel Glück hat er in die Liebe: Die schöne Radojka liebt ihn zwar auch, doch ihr Vater will von so einer Beziehung nichts wissen. Mit Hilfe der dankbaren Dorfbewohner brennt er in der nächsten Nacht mit ihr durch, um sie am nächsten Tag zu heiraten, doch so weit soll es nicht kommen...



Ich fand den Film ja schon bei der ersten Sichtung toll, obwohl ich von den Dialogen kein Wort verstanden habe. Diesmal standen mir englische Untertitel zur Verfügung, was die ein oder andere Szene etwas deutlicher werden liess, dem Film aber nichts von seiner rätselhaften Stimmung nahm. Basierend auf einer Erzählung von Milovan Glisic aus dem 19. Jahrhundert wird hier eine sehr eigene Atmosphäre aufgebaut, unter anderem gibt es keinerlei Musik, stattdessen aber merkwürdige, nicht näher zu definierende Tierlaute auf der Tonspur. Auch die Farbwahl ist für einen Horrorfilm ungewöhnlich, mag aber zu dieser Zeit in Osteuropa Standard gewesen sein. Kadijevic drehte im selben Jahr den ebenfalls sehr gelungenen Devicanska Svirka, der etwas näher am herkömmlichen Gothic Horror war, aber auch einige bizarre Abweichungen zu bieten hat. Die Filme des Regisseurs sollten unbedingt mal irgendwo in angemessener Qualität erscheinen, verdient hätten sie es auf jeden Fall.

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Dienstag, 5. Januar 2010
Pedro Páramo
Mexiko 1967 Regie: Carlos Velo



Auf dem Sterbebett wird der junge Juan von seiner Mutter aufgefordert, seinen Vater Pedro Páramo aufzusuchen und endlich einzufordern, was ihm zusteht. Schon bald wird ihm allerdings klar, daß die Personen, denen er im abgelegenen Heimatdorf begegnet, die Geister längst Verstorbener sind, die ihm erzählen, wie ihr eigenes Leben von Pedro Páramo beeinflußt wurde...

Die erste Verfilmung von Juan Rulfos populärem Roman (die seit 2007 angekündigte vierte Adaption mit einigen bekannten Namen des spanischen Films zieht sich scheinbar etwas hinaus) besticht vor allem durch eine angemessene traumähnliche Atmosphäre. Was bei all der Euphorie über die "Erfindung des magischen Realismus" und "Gabriel García Márquez sein Kultbuch" oft übersehen wird, ist, daß der Roman auch eine narrative Überhöhung der Gothic Novel darstellt und damit einer Tradition folgt, die von Jan Potocki mit der "Handschrift von Saragossa" begonnen wurde. (Die kongeniale Verfilmung dieses Buches durch Wojciech Has kann man auch nicht oft genug erwähnen.) Auch wenn Rulfos Roman nicht die vielfache Verschachtelung der Handlung betreibt, sondern – ständig die Perspektive wechselnd – ein paar Mosaiksteinchen einer "großen Geschichte" hinwirft, deren Details sich der Leser selbst ausmalen kann, sind vor allem in der Rahmenhandlung Parallelen auszumachen: So wie Alfonse Van Worden immer wieder unter dem Galgen aufwacht, bekommt der durstige Juan hier von den Toten immer nur Gefäße gereicht, die längst ausgetrocknet sind. Weitere Elemente der Gothic Novel sind mehrere Über-Villains, ein Rendezvous auf dem Friedhof und die (anfänglich) jungfräuliche Heldin, die so einiges einstecken muß. Freilich ist die Kritik an ausbeuterischen Landbesitzern hier ausgeprägter vorhanden, aber schon damals waren die Villains überwiegend reiche Säcke. Ohne Kenntnis der literarischen Vorlage mag Velos Film noch rätselhafter wirken, als er eh schon ist, dem Genuß dieser traurigen, originellen und stimmungsvollen Geschichte steht das aber meiner Meinung nach nicht im Weg.

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Freitag, 1. Januar 2010
Left Bank
Linkeroever, Belgien 2008 Regie: Pieter van Hees



Marie ist eine erfolgreiche Leichtathletin und hat gerade die Qualifikation zur Europameisterschaft geschafft, als eine merkwürdige Krankheit, die die Ärzte nicht näher bestimmen können, mit heftigen Blutungen und Übelkeit weiteren Leistungssport erst einmal unmöglich macht. Zu Erholung und Ruhe verdonnert, entschließt sich Marie nun all die Sachen zu machen, zu der sie durch ihre Sportlerkarriere nicht kam - die Bekanntschaft mit dem durchtrainierten Bogenschützen Bobby kommt ihr da gerade recht. Bald entschließt sie sich, auch um ihrer dominanten Mutter zu entkommen, zu ihm zu ziehen, obwohl er am linken Ufer der Schelde, der wohl unpopulärsten Wohngegend Antwerpens wohnt. Immerhin hat man in den Wohnsilos voller Sozialfälle einen hübschen Ausblick. Als Marie durch Zufall erfährt, daß die Vormieterin von Bobbys Wohnung auf rätselhafte Art und Weise verschwunden ist, wird sie neugierig und stellt fest, daß diese merkwürdige Fakten in der Vergangenheit des Gebäudes recherchierte...



Linkeroever nimmt sich viel Zeit, und das ist gut so. Dank der überzeugenden Hauptdarstellerin und exzellenter Kameraarbeit, die in Einheit mit dem zurückhaltenden Score und den trostlosen Locations eine fesselnde Stimmung zu erzeugen vermag, fällt es nicht ins Gewicht, daß die wesentlichen Handlungs- und Horror-Elemente erst sehr spät im Film auftauchen. Es stellt sich überhaupt die Frage, ob das ein Horrorfilm sein soll oder nicht eher ein düsteres Drama mit übernatürlichen Elementen. So oder so einer der beeindruckendsten Filme, die ich 2009 gesehen habe, der auch nach mehreren Sichtungen nichts von seiner Faszination verliert. In Belgien und den USA mittlerweile als DVD erhältlich, wäre es freilich sehr zu begrüßen, wenn dieser originelle Film auch hierzulande erscheinen würde, steckt er doch so einige der mediokren Genre-Produktionen der letzten Zeit locker in die Tasche.

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