Freitag, 5. März 2010
Alexander Moritz Frey: Spuk des Alltags
Die ambitionierte Reihe "Edgar Allan Poes phantastische Bibliothek" liefert hiermit eine lohnenswerte Ausgrabung eines zu Unrecht übersehenen Autoren der Weimarer Zeit. Anders als der vor einigen Jahren noch von Suhrkamp erhältliche, auch heutzutage noch höchst amüsante anarchische Science Fiction-Roman „Solneman, der Unsichtbare“, schlagen diese Erzählungen, wenn auch teilweise noch im Grotesken verankert, einen wesentlich düstereren Ton an. Über allem schwebt der Schatten E.T.A. Hoffmanns, dessen Mischung aus Spott über die bürgerliche Gesellschaft und morbiden Motiven hier eine Fortführung unter moderneren Vorzeichen erfährt. Dies funktioniert in der Mischung sehr gut, aber auch losgelöst voneinander: Die Erzählung „Verwirrung“ berichtet lakonisch-schwarzhumorig vom Ableben eines Zeitungsausträgers, der aufgrund eines Mißverständnisses von einem Mob zu Tode gehetzt wird, während „Verwesung“ der manische Bericht eines Jugendlichen ist, der seine Eltern umbringt und aus Angst vor Entdeckung sich mehrere Wochen mit den Leichen zusammen in der Wohnung verbarrikadiert. Überhaupt wird häufig aus der Perspektive von Kriminellen und Verwirrten erzählt, wobei deutlich wird, daß auch Poe ein entscheidender Einfluß auf Freys Prosa war. Doch trotz dem Hang zum Grotesken und Überzeichneten gelingt es dem Autor gleichfalls über weite Strecken, eine durchaus unheimliche Atmosphäre aufzubauen. Vor allem die Erzählung „Verzweiflung“ ist eine Horrorgeschichte reinsten Wassers, die das Zeug zum Klassiker hat und wohl auch einer geworden wäre, hätte man den Autor nicht so sträflich vernachlässigt. Um so lobenswerter, daß diese Sammlung jetzt wieder erhältlich ist, mit einem informativem Nachwort und den Original-Illustrationen von 1920 versehen.

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Erst jetzt erfahren
Erst dein Artikel hat mich auf die Idee gebracht, mich ein wenig nach Frey zu erkundigen - und so musste ich zur Kenntnis nehmen, welche Behandlung dem Schriftsteller als Flüchtling in der Schweiz zuteil wurde. Ich fühle mich - da die offizielle Schweiz solche Angelegenheiten immer noch mit Schweigen umhüllt - beinahe verpflichtet, mich dafür zu entschuldigen. Gerade weil die deutschen "Phantasy"-Autoren der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts z.T. verständlicherweise etwas in Vergessenheit geraten sind, hätte unser Land wenigstens einen Beitrag zur Wiederentdeckung von Frey leisten können. - Ich werde mich bei nächster Gelegenheit auf die Erzählungen stürzen.

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Danke für deinen Kommentar! Nun, wenn du dich schon für das Verhalten der Schweizer entschuldigen möchtest, für was alles müßte ich mich da als Deutscher entschuldigen? ;)
Freys Texte zu lesen ist aber in der Tat eine sehr gute Idee!

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